Der Insider

Bafa Gölü: Es gibt sie noch, die unberührten, stillen Orte

Wandern im Latmosgebirge
10.05.2013


Wie oft waren wir auf der Strecke vom Flughafen Izmir zum Liegeplatz der ONEWAY in Bodrum an der Südseite des Bafa Gölü mit dem Auto vorbeigerauscht und hatten nur ab und zu einen schnellen Blick zur Seeseite gebenüber und dem hohen Gebirge dahinter aus dem Fenster geworfen. Ein paar Mal waren wir beim Restaurant unmittelbar an der Straße für eine Teepause links abgebogen. Dieses Mal hatten Harry und ich mehr Zeit als sonst und fragten Mehmet, den Inhaber, ob er ein kleines Hotel oder eine saubere Pension drüben in Herakleia empfehlen könne. "Mein Cousin Kubilay erwartet euch", grinste er, "Selenen's Pension in Kapikiri unterhalb von Herakleia am See". Er steckte uns eine Visitenkarte zu, "...und grüßt ihn von mir!"

Offenbar hatte er ihn sofort angerufen, denn kaum waren wir um den halben See herumgefahren und hatten Selenen's Pension gefunden, wurden wir freundlich begrüßt. Unter dem schattenspendenden Dach einer großen Terrasse stand Kubilay, bartlos, schlank, drahtig und sympathisch, und zeigte uns eines seiner 12 Zimmer in einem kleinen Bungalow am Hang unter silbern im Wind flirrenden Olivenbäumen. Ein paar Frauen saßen zusammen und begutachteten unseren Einzug, Kinder spielten zwischen den Tischen und Hühner gackerten im Garten.

Es gab erstmal çay, dann schnappten wir uns die Kameras und wanderten am See entlang, dem Sonnenuntergang am Ufer entgegen. Friedliche Landschaft vor hohem Gebirge. Eine leichte Brise ließ die Boote schaukeln, ein weiß getünchtes Gästehaus war direkt auf den massiven Steinen einer alten, ganz offensichtlich antiken Steinmauer, erbaut. Der Abend senkte sich funkelnd über dem Wasserspiegel. Auf der Terrasse erwartete uns ein köstliches türkisches Abendessen. Kubilay servierte und stellte uns seinen jüngeren Bruder Tamer vor, der morgen Vormittag mit uns eine Wanderung zum Yediler Kloster im Latmos machen werde, so hatte er jedenfalls beschlossen.


Das Latmos Gebirge, von den Einheimischen auch Besparmak Dagi (Fünffingerberg) genannt, ist mit seinem fünf zackigen Bergspitzen (der höchste um die 1300 Meter) und dem auffällig rund geschliffenen Gneismassiv eine der außergewöhnlichsten Berglandschaften der Welt. Der See, das letzte Überbleibsel eines ehemaligen Meeresbusens im Mündungsbereich des Mäanderflusses, entstand durch schlammigen Ablagerungen des "fleißigen Arbeiters" (Herodot über den Mäander) und wurde um das 4. Jahrhundert n.Chr. endgültig vom Meer abgetrennt. Seither ist der Bafa Gölü ein Binnensee mit Süßwasseranteil, was die Bafafische (Meeräschen, Aal und Zander), besonders köstlich macht. Landschaftlich am schönsten ist die Küste bei der Ikizada-Insel mit einem byzanthinischen Kloster und die im Abendlicht besonders golden leuchtende Klosterinsel vor unserem Terrassenplatz Kapikiri, unterhalb von Herakleia.

Berühmt wurde der Ort vor allem durch seine Verbindung mit der rätselhaften Gestalt des Endymon, der offenbar ein Verhältnis mit Hera hatte. Als Zeus die beiden erwischte, habe er Endymon vor die Alternative Giftbecher, Tod durch Pfeil oder Strang gestellt, worauf sich Endymon für ewigen Schlaf und ewige Jugend entschieden habe. Als die Mondgöttin Selene ihn in einer Höhle am Latmos tief schlafend fand, küsste sie ihn wach. 50 Töchter habe sie ihm geboren, so ewig muss der Schlaf nicht gewesen sein. Kubilay erzählte von einem Endymon-Grab in einer Höhle und von einem Heiligtum oben im Gebirge. Irgendwann ist er dann offenbar doch gestorben.


Um 7 Uhr stand Tamer in Bergstiefeln und mit Rucksack bereit, um mit uns los zu ziehen. Ein großer Strohhut bedeckte seinen Kopf. "Nehmt was zum Schutz gegen die Sonne mit - und mindestens drei Wasserflaschen!" In der Morgenkühle wanderten wir zunächst am See entlang, stiegen dann nach einigen Wegbiegungen zum Dorf Gölyaka hinauf und von dort in langen schmalen Pfadwindungen immer höher, bis Tamer vor einer niedrigen Felsloch anhielt und uns einladend aufforderte hinein zu kriechen.

In der Höhle war es zunächst kühl und dunkel, dann gewöhnten wir uns ans schwache Licht und erkannten auf der Wand seltsame rötlich-blasse Figuren. Das seinen prähistorische Höhlenbemalungen aus der Zeit um 8. bis 4. Jahrhunderts v. Chr. Seit Mitte der 90er Jahre seien in der Gegend um die 170 solcher Felsmalereien entdeckt worden. Sie zeigten in einer Art von Strichmännchen mit Kopfputz und überlangen Körpern und stummelartigen Beinen, wohl Götter oder götterähnliche Wesen, die am Latmos verehrt wurden. Der Name Baliktas für diese Höhle bedeute Fischstein, erklärte Tamer. Die Künstler hätten die Farben mit ihren Fingern aufgebracht. Unglaublich, dass alles noch heute zu erkennen ist.


Beim Rausklettern aus der Höhle ritzte ich mir den Unterarm an einer Felskante auf. Es blutete heftig, aber Tamer hatte Verbandszeug dabei, alles halb so schlimm.

Nach einer weiteren halben Stunde durch schattenspendende Olivenhaine waren wir am Ziel, der Klosterruine Yediler. Yedi bedeutet sieben und soll einen Bezug auf die Legende der Siebenschläfer haben, die es allerdings auch bei Ephesus gibt.

Inzwischen brannte die Maisonne kräftig vom Himmel. Im August sei es zu heiß und keine gute Zeit für den Latmos, meinte Tamer und zog die Wasserflaschen aus seinem Rucksack. Zunächst ließen wir uns unter einem seltsam geformten Felsüberhang nieder, der offenbar Teil einer Mauer oder eines Tores war - und staunten: die innere Wand war mit christlichen Fresken aus byzantinischer Zeit bemalt, die in kräftigen Farben leuchteten. Wie ist das möglich? Ungeschützt in freier Landschaft, und noch so deutlich zu erkennen.

Vom Yediler-Kloster, das vier Kirchen hatte, ist nur noch die kleine Zitadelle einigermaßen intakt, deren gezackte Mauern sich auf einem kleinen Felsblock in einer Mulde erheben. Ansonsten sind nur Bruchstücke von Bogengängen und Restmauern zu sehen. Yediler war nach dem Stylos-Kloster die zweitgrößte Klosteranlage der Gegend. Besonders beeindruckt waren wir vom kleinen Gefängnis des Klosters (die Mönche, die Mönche!) und von den gefährlich tiefen Zisternen, aus denen kein Entrinnen ist, falls man da mal hinein fallen sollte.


Der Rückweg ging in die Beine, die Knie wackelten, die Augen suchten sicheren Tritt. Unterwegs stolperten wir beinahe über eine Schildkröte, die den Kopf einzog als wir uns über sie beugten. Im Schatten eines Olivenbaumes erzählte uns Tamer wie die Adler des Latmos Schildkröten jagen. Sie packen sie mit ihren Krallen, erheben sich mit ihnen hoch in die Luft, öffnen oben die Klauen und lassen sie herunter fallen. Auf dem Fels zerschellt die schützende Schale der armen Turtle, und der Adler kann sich über sie her machen. "Seither haben Schildkröten Flugangst," stellte Harry lakonisch fest.

Endlich kamen wir wieder in Gölyaka an. Vor dem Teehaus fielen wir in die Plastikstühle, Tamer ludt zum Tee ein, der köstlich schmeckte. Die Männer, die gelangweilt herumsaßen, wurden munter, nickten uns freundlich zu und ließen sich von ihm alles erzählen, was er über uns wusste. 4 Stunden hatte unsere Exkursion gedauert. E s war schon ein bisschen anstrengend gewesen.


Nachtrag: Die Gegend um den Bafa Gölü gehört zu den bedeutendsten Naturschutzgebieten der Türkei und bildet mit der Delta des Mäanders ein ökologisches System, das vielen Zugvögeln als Brüt- und Überwinterungsort dient. 1994 wurde das gesamte Gebiet zum "Naturpark" erklärt. Folge: es darf nicht gebaut werden, vorausgesetzt die jetzige Regierung hebt den Schutzanspruch nicht auf. Was die Brüder Kubilay und Tamer Karabulut, die bei unserer Abreise zu Freunden geworden waren, zu grünen Revolutionären machen würde.

Der See wird auch heute noch durch Bäche, Quellen und den Mäander mit Süßwasser versorgt. Die tiefste Stelle liegt bei 25 m; doch meist ist die Wassertiefe nicht mehr als ca 1-2 Meter, für Yachttourismus Allahseidank nicht geeignet. Es gibt vier Inseln. Die Westküste ist Sumpfgebiet und besonders seicht. Der See gehörte früher einem Privateigentümer, der den Fischfang monopolisiert hatte. 1978 wurde der See verstaatlicht und die Fischerei einer Genossenschaften übertragen. Auf dem Kanal, der die Verbindung mit dem Mäander bildet, befindet sich eine einfache Fischreusenanlage.


Tipp für ökologische Unterkunft im Grünen einschließlich Führung mit unterhaltsamen Geschichten: Kubilay und Tamer Karabulut, Selene’s Pension, Kapikiri Herakleia/Bafagölü, Turkey, Panorama: klick
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