CockpitTalk
Elkes Dardanellengeschichte:
Zwischen dicken Pötten



Begegnung der nahen Art

Unser Schiff reisst am Anker, dass die Koje ganz schräg liegt. Böen fegen übers Wasser in stockfinsterer Nacht. Kaum zu glauben, dass es Hochsommer ist. Anfang August liegen wir in Sivrice Liman, das ist eine Bucht an der türkischen Küste nördlich der grossen griechischen Insel Lesbos. Uns lockt ein spannendes Ziel: wir wollen nach Istanbul segeln! Gestern hat uns die See abgewiesen, kaum waren wir rum ums letzte Kap Baba Burun, als es auch anfing, mit Macht von vorn zu wehen. Zermürbt vom heftigen Seegang warfen wir das Handtuch und verkrochen uns hier in der Bucht. Der Weg zu den Dardanellen ist noch sehr weit. Wir sitzen über Seekarten, Handbüchern, der Wettervorhersage und diskutieren den nächsten Schlag. Bis hierher haben wir es geschafft, immer genau gegen den sommerlichen Meltem, aber nun ist guter Rat teuer. Wegen des heftigen Schiffsverkehrs wollen wir die Dardanellen unbedingt bei Tageslicht passieren, aber bis zum Eingang sind es noch schlappe 45 Seemeilen, und dann nochmal mehr als 40 Meilen bis wir durch sind. Viel zuviel für einen Tag. Es bleibt uns nichts übrig: wir müssen nachts raus.

Kaum lässt der Wind ein wenig nach, da lichten wir gegen Mitternacht den Anker und brechen auf. Zuerst machen uns viele kleine Fischerboote mit ihren unbeleuchteten Netzen zu schaffen, dann kommen nach und nach immer mehr Dickschiffe mit ihren verwirrenden Lichtsern in Sicht. Sicherheitshalber lassen wir das Radar mitlaufen. Abwechselnd holen wir uns eine Mütze voll Schlaf, das ist wie auf einem Überführungstörn: die Wache hat alles im Griff von Navigation bis Schiffe gucken, die Freiwache wärmt die Koje. Rasmus und Neptun haben Mitleid und sind uns wohlgesonnen. So haben wir bei Sonnenaufgang die Insel Bozcaada querab, die in der Illias Tenedos heißt und hinter der sich die Griechen verkrochen, nachdem sie den Trojanern das hölzeren Pferd vor die Mauern gestellt hatten. Beim Blick hinüber beschließen wir, vorbeizufahren. Der sogenannte Hafen ist nur eine lange, ungeschützte Mole, an der jede Menge Boote wie verrückt im Schwell schaukeln. Noch ein kleines Stück, dann sehen wir bei Sonnenaufgang die Einfahrt in die Dardanellen. Jetzt sind wieder "all hands on deck" gefragt.

Ein bisschen aufgeregt machen wir uns an die Ansteuerung. Das südwestliche Ende ist wie ein Trichter, nicht nur geographisch, sondern auch navigatorisch. Hier beginnt das Verkehrstrennungsgebiet, das uns bis zum Marmarameer begleiten wird. Es funktioniert wie eine Autobahn: man fährt rechts auf seiner Bahn, die langsamsten ganz außen. In der Mitte ist eine Trennzone (die Leitplanke), wenn man auf die andere Seite will, dann im rechten Winkel und so fix wie möglich. Hört sich einfach an, ist es aber nicht immer wegen der Strömung. Und nicht alle halten sich daran ;-)


Lotse an Bord!

Der Wind und diese Strömung machen uns zu schaffen, denn sie kommen beide genau von vorn. Kreuzen ist im Verkehrstrennungsgebiet verboten, also müssen wir die nächsten 40 Meilen motoren. Große Augen machen wir bei einem Lotsenmanöver. Ein Lotsenboot, so lang wie wir und so schnell, dass die Bugwelle weiss schäumt, hält auf einen leeren Supertanker zu. Dort wird eine schräge Gangway an der Bordwand heruntergelassen, an deren Ende noch eine Strickleiter baumelt. Der Tanker wird immer langsamer, das Lotsenboot kommt fast längsseits. Dann springt der Lotse in die Strickleiter, hangelt sich hoch, geht über die steile Gangway an Bord und schüttelt die Hände der Besatzung. Kaum hat das Lotsenboot abgedreht, schon beschleunigt der Supertanker. Bestenfalls riskant kommt uns solch ein Manöver vor, es scheint aber hier Routine zu sein.

Immer enger wird der Bruch zwischen Asien und Europa. Die Ufer der Dardanellen sind ganz unterschiedlich, die asiatische Seite wir von sanften Hügeln mit Weinreben und Getreidefeldern bestimmt, die europäische Seite erscheint mit steilem Fels und dichtem Wald abweisender. Das Echolot spielt verrückt, die Tiefe springt zwischen 28 und 134 Meter hin und her. Die Plattentektonik hat hier wohl tiefe Risse im Seeboden hinterlassen. An der engsten Stelle bei Çanakkale verzeifeln wir fast: trotz 7-8 Knoten Fahrt durchs Wasser kommen wir mit Vollgas nur mit schlappen 1,7 Knoten über Grund voran. Dabei kommen uns die die Riesenschiffe immer näher, denn das gesamte Verkehrstrennungsgebiet ist nur noch 0,8 Seemeilen breit, dazu knickt es zweimal um fast 90 Grad ab. Freiwillig würden wir nie so dicht an die Dickschiffe heran fahren, doch hier passieren uns 300 bis 400 Meter lange Pötte in gerade mal 50 Meter Entfernung. Wir können die Bugwelle, die Ruder, sogar die Gesichter der Besatzung sehen, und das Schraubenwasser schüttelt uns ordentlich durch. Keine Frage, dass wir manchmal das Gruseln kriegen. Aber es geht alles gut, und irgendwann weiten sich die Dardanellen wieder. Wir atmen auf und sind froh, dass es nun wieder schneller vorangeht.


Näher geht es nicht: Aufpassen, dass man nicht ins Schraubenwasser kommt

Trotzdem schaffen wir es nicht ganz, der Sonnenuntergang holt uns noch vor der Ausfahrt ins Marmarameer ein. Schon in Sivrice hatten wir uns einen Ankerplatz auf der Seekarte ausgeguckt, den steuern wir nun mit letztem Licht an. Der Strand von Lapseki Liman (auf der Südseite der Dardanellen gegenüber von Gelibolu) ist voll mit Badegästen, die uns genauso neugierig beäugen wie die paar Angler in ihren Minibötchen. Kaum sitzt der Anker fest im Grund, da verzaubert uns die Abendstimmung mitten in den Dardanellen. Rote Wolken leuchten hinter riesigen Windgeneratoren, die Navigationslampen der vorbeiziehenden Schiffe grüßen herüber, die Lichter der Stadt werden immer deutlicher. Glücklich über die zurückgelegte Strecke fallen wir todmüde in die Koje, sanft geschaukelt vom schwachen, umlaufendem Schwell.

Die Sonne kitzelt uns wach, frisch gestärkt machen wir uns an die letzte kleine Etappe. Hoch mit dem Anker und los gehts, vorbei an Gelibolu ins offene Marmarameer. Der Dampfertreck hält sich ans Nordufer, so bekommen wir immer mehr Raum. Hoch mit den Segeln! Mit Vollzeug kreuzen wir gegen den Nordost und freuen uns auf Istanbul – aber das ist eine andere Geschichte.

Elke Aquarius, August 2009

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