CockpitTalk
Die verliebte Robbe
von Elke Le Grand Bleu

Es regnet nicht, es schüttet. Die Yacht schaukelt, als sei sie auf hoher See. Wir liegen schon seit Tagen am Holzsteg in English Harbour (Degirmenbükü), das schlechte Wetter hält uns fest. Gleich zwei dicke Tiefs stürmen über der Südadria und der Zentralägäis, selbst der geschützte Gökovagolf kriegt sein Fett ab. Segeln macht dabei wahrlich keinen Spaß, da ist es schon besser, in einer gegen Südwind gut geschützten Bucht zu liegen. Nicht, dass uns dabei langweilig wäre! Sogar Ende Oktober liegt der Steg rappelvoll. Etliche Gulets mit Gästen übernachten hier, auch einige Yachten sind noch unterwegs. Abends trifft man sich im Restaurant zu einfachem, aber sehr gutem Essen und Klönschnack. Klar, dass es oft spät wird, aber wir können ja ausschlafen.

Morgens blinzelt endlich die Sonne ein paar Minuten durch die dicken Wolkenbänke. Plötzlich gibts ein großes Hallo auf dem Steg, eine Menschentraube guckt ins Wasser. Was ist denn da los? Eine Robbe schwimmt zwischen den Schiffshecks und dem Steg herum. Sie ist überhaupt nicht scheu, weicht nicht vor den vielen Menschen zurück. Grosse Augen, noch grössere Nasenlöcher, aus denen es regelmäßig prustet, alle sind begeistert von diesem hübschen Tier. Am Ende des Stegs liegt ein festes Dingi hinter einer Gulet. Als die Robbe es erreicht hat, kommt der Kopf aus dem Wasser, dann wackelt der Körper hinterher und schwupps ist sie im Dingi. Sie robbt von vorn nach achtern, von Backbord nach Steuerbord, macht es sich bequem und schläft erst mal eine Runde, ganz unbeeindruckt von den vielen Leuten drumherum.



Wir sind neugierig: ist das denn normal? Bestimmt nicht, denn wir haben noch nie eine Robbe so nahe gesehen. Als wir die Besitzer des Restaurants fragen, drücken sie uns ein buntes Faltblatt mit vielen Infos in die Hand. Die Robbe ist ein Mädchen namens Badem. Als mutterloser Heuler wurde sie gefunden und von einer Robbenstation handaufgezogen. Im April wurde sie dann an der Südküste des Gökovagolfs freigelassen. Seitdem schwimmt sie von Bucht zu Bucht, sie ist jetzt fast ein Jahr alt. Da ihre Spezies, die mediterranen Mönchsrobben, sehr selten und auch gefährdet sind, hat sie bisher noch keinen Anschluss an ihre Artgenossen gefunden. Immerhin macht Badem einen gesunden, gut genährten Eindruck. Doch so ohne Gefährten scheint es ihr recht langweilig zu sein. Jeden Mittag taucht sie hinter dem Steg auf, schwimmt und schnauft, und spielt mit allem was sie erreichen kann. Einmal hat sie einen toten Fisch quer im Maul – sie hat ganz schön spitze, lange Zähne! – und taucht damit verspielt auf und ab.

Natürlich findet sie wieder ein Dingi, schwupps ist sie drin. Die meisten Besitzer freut das gar nicht, denn Badem riecht etwas streng. Mit allen Tricks versuchen sie, Badem aus den Dingis rauszuhalten. Eine Schutzplane übers Dinge, am Dingi wackeln, zur Not das Tier mit vereinten Kräften sogar rausschmeißen und auf den Steg legen, was lassen sich die Leute nicht alles einfallen! Meist jedoch vergebens, denn Badem ist so verliebt in kleine Boote, dass sie früher oder später ein anderes gefunden hat und frech daraus hervorlugt. Wenn gar nichts mehr hilft, legt sie sich auf den rostigen Fischkäfig des Restaurants und schläft dort eine Runde.

Freilich wäre es schön, wenn sie sich anderen Mönchsrobben anschließen könnte. Die Spezialisten, die sie aufgezogen haben, bitten in ihrem Infoblatt darum, Badem nicht zu beachten, wenn sie spielen will, sie nicht zu betatscheln und keinesfalls zu füttern. Letzteres ist leicht, sie macht keinen hungrigen Eindruck. Aber ersteres ist leichter gesagt als getan. Solch eine zutrauliche Robbe ist zweifellos DIE Attraktion, wo immer sie auftaucht. Ihre Liebe zu Dingis als Schlafplatz bringt sie täglich in die Nähe der Menschen. Wir drücken ihr die Daumen, dass sie bald andere Mönchsrobben findet, damit sie sich neu verlieben kann. Und die kleinen Boote vergisst.