Der Insider

Die Horrornacht von Sarsala
von Martin Zadow, 21.10.2013


Fortsetzung von Seite 1:

Und es war noch lange nicht vorbei. Der Wind gewann nochmal an Stärke. Mittlerweile goss es wie aus Eimern, es blitzte und donnerte ununterbrochen. Ein extreme Gewitterfront hatte uns jetzt erreicht. In dieser Situation versuchte eine Segelyacht den "Ausbruch". Der Skipper hatte sich durch die vorangegangene Szene nicht abschrecken lassen. Kaum hatte sie den Steg verlassen, wurde sie von einer heftigen Bö getroffen, schlug quer und beschädigte sich selbst und die noch am Steg liegenden Yachten. Minutenlang musste der "Ausbrecher" in dieser Lage verharren, heillos verhakt und wie wild stampfend. Erst in einer der wenigen kurzen Windpausen gelang es dem Skipper sich los zu reißen und auf den offenen Golf hinaus zu steuern.

Die Situation verschlechterte sich zusehends. Es war jetzt sechs Uhr morgens und ich war immer noch barfuß und im Schlafanzug an Deck zugange, bis auf die Haut durchnässt. Es gab keine Pause für uns, wir hatten alle Hände voll zu tun, als plötzlich unser Motor ausfiel. Sofort unter Deck, konnte ich die Ursache aber nicht finden. Erschöpft wie wir schon waren, mussten wir uns damit abfinden, dass wir das Boot nun nicht mehr mit Motorunterstützung vom Steg abhalten konnten. Erst jetzt zeigte sich, was meine kleine Mannschaft zu geben bereit war. Denn nun kam es auf Ausdauer und hohe Frustrationstoleranz an. Alle Sicherungsmaßnahmen konnten wir nur noch mit unseren eigenen Kräften bewältigen. Wir waren auf uns selbst gestellt.

Der Wind legte nochmals an Stärke zu. Während eines unachtsamen Moments auf dem Vorschiff, wurde ich von einer Böe glatt umgeworfen. In den Böenpausen - von uns mit Galgenhumor "Wehenpausen" genannt - zogen wir unter Aufbietung aller Kräfte fortwährend unsere beiden Murings nach, um den Abstand zwischen Steg und Boot zu halten und den schon am Heck entstandenen Schaden zu begrenzen. Es gelang nicht immer. Trotz unentwegtem, achterlichem Fendereinsatz kam es zu Schrammen am Heckspiegel, der sich zeitweilig unter den Steg geschoben hatte.

Als der Wind dann über 50 Knoten Geschwindigkeit erreichte, brach unsere Backbord-Muring. Durch diesen Verlust und durch den etwas backbordseitig von vorn einfallenden Wind, wurde unser Bug von den in einer Reihe liegenden Yachten quasi abgespalten und nach Steuerbord gedrückt. Wir konnten nicht verhindern, dass die etwas entfernt neben uns liegende Yacht von unserem Buganker seitlich am Vorschiff getroffen wurde. Eine Relingstütze, ein Relingdraht, die Scheuerleiste und eine Klüse wurden auf dem anderen Boot beschädigt.

Mit vor Anstrengung verzerrten Gesichtern zogen wir an der noch verbliebenen Steuerbord-Muring und konnten uns nach einigen Versuchen endlich von dem anderen Boot lösen. Dabei mussten wir höllisch aufpassen, denn unser Buganker hatte sich im Relingdraht der "gegnerischen" Yacht verfangen und diesen bis zum Zerreißen gespannt. Beim Brechen und Zurückschellen hätte der extrem belastete Draht einen Arm oder ein Bein schwer verletzen können.

Durch die fehlende Backbord-Muring ergab sich für uns eine noch ungünstigere Lage. Da wir nach Steuerbord durch keine dicht neben uns liegende Yacht gesichert waren, griff der Wind immer wieder in unser Backbord-Freibord und drückte unseren Bug nach Steuerbord, gefährlich nahe an die durch uns bereits beschädigte Yacht heran. Es gab nur eine Möglichkeit, dies zu verhindern: Ich bat den Skipper auf unserer Backbordseite um Erlaubnis, durch eine Leine den Bug unserer Yacht mit dem Bug seiner Yacht zu verbinden und damit zu sichern. Das würde den Windwinkel gegenüber unserer Yacht verkleinern und unsere Bugabdrift deutlich mindern. Völlig unverständlich für uns lehnte der Skipper ab, ohne dass wir einen plausiblen Grund hierfür erkennen konnten. Nun waren zwei Mann auf unserem Vorschiff dauerhaft gebunden und für unser Achterschiff blieb nur noch ein Mann übrig. Wir waren ziemlich sauer. Der unfreundliche Skipper bot uns dafür aber ein sehenswertes Schauspiel:

Er wollte als ergänzende Sicherung zur Bug-Muring seiner Yacht seinen Buganker auszubringen. Seine Mannschaft ließ dafür das motorisierte Dingi zu Wasser und der Skipper stieg ein. Ohne Rettungsweste! Die Crew zog das Dingi gegen den Winddruck zum Bug unter den Anker und ließ diesen in den hinteren Teil des Dingis herab, wo schon der Skipper saß. Nun wurde ordentlich Kette gegeben, damit der Anker auch weit genug entfernt vor der Yacht gesetzt werden konnte. Es kam, was kommen musste: Der Außenborder am Heck des Dingis, der kräftige Skipper an der Außenborderpinne, der Anker und nun auch noch die schwere, in das Dingi hineinlaufende Ankerkette - all das war zuviel für das kleine Boot. Der hintere Teil verschwand komplett im Wasser. Der Skipper saß wie in einer gefüllten Badewanne, von der nur noch die vordere Hälfte heraus ragte. Vom Außenborder war nur noch der Motorkopf zu sehen. Das alles bei Windstärken von acht, neun Beaufort. Die Jungs brachen schließlich das Manöver ab und holten die Kette mit dem Anker wieder ein. Sie hatten nur knapp verhindern können, dass ihr Dingi samt Skipper gekentert war.

Es vergingen noch viele Stunden. Erst gegen 12:00 Uhr am Donnerstagmittag ließ der Sturm nach. Am Nachmittag flaute der Wind schließlich deutlich ab, so dass wir - nach unserem unermüdlichen Einsatz -endlich etwas essen und trinken konnten. Aber noch immer war unser Motor nicht klar. Wir heuerten einen jungen Türken an, der das Boot für 25 Euro abtauchte. Und tatsächlich: Im Sturm hatte sich ein Tampen in der laufenden Schraube verfangen und diese blockiert. Der Taucher schnitt das Tau mühsam von der Schraube los. Danach ließ sich der Motor wieder einwandfrei bedienen. Ich selbst hätte diese Arbeit nie geschafft. Der Mann war mehrfach bis zu einer Minute unter Wasser gewesen - ohne Sauerstoff.

Der Sarsala-Steg danach... Die Crew der Nacht


Wir blieben noch eine weitere Nacht in der Sarsalabucht um uns zu erholen. Unsere glücklicherweise nur sehr gering beschädigte Yacht konnten wir am Freitag am Yachtstützpunkt in Göcek zurückgegeben. Die Versicherungsangelegenheit wurde mit dem Ecker-Personal sehr schnell und unkompliziert geregelt. Und so ging für uns ein etwas anderer Segelurlaub versöhnlich zu Ende.

Meine beiden Segelfreunde sind erst zwei, bzw. drei Mal mit einer Segelyacht unterwegs gewesen. Sie haben noch kein Schwerwetter gekannt, jedenfalls nicht auf einer Yacht. Sie haben sich vorbildlich verhalten, zu keinem Zeitpunkt nachgelassen und jeden Einsatz gegeben. Es gab kein lautes Wort, kein Schimpfen und kein Fluchen. Sie taten einfach das was erforderlich war, um einen großen Schaden an der von mir gecharterten Yacht zu vermeiden. Sie haben nie behauptet, schwerwettertauglich oder verlässlich zu sein. Sie waren es einfach. Zu sagen, dass es mir ein Vergnügen war mit den beiden unterwegs gewesen sein zu dürfen, trifft es nicht ganz. Es war mir ein Privileg.


Als Wetterdienste im Internet empfehle ich unbedingt Poseidon aus Athen und den Windfinder. Beide sagen meist ziemlich präzise für Tage voraus die Wetterentwicklung an, so dass man seine Törnstrategie danach ausrichten kann. Wenngleich in Golfen und Buchten der Wind oft durch Kaps, Hügel, Einschnitte und Öffnungen - wie man an unserem Beispiel sieht - verdreht und aus ganz anderer Richtung daher kommen kann.

Diesen Bericht nimmt Skipper Jörg Graff aus Hamburg zum Anlass sich Gedanken über Stürme und die Ablenkung durch örtliche Gegebenheiten zu machen: klick