Der Insider



Die Horrornacht von Sarsala
von Martin Zadow, 21.10.2013

Wie schon drei Mal zuvor, habe ich auch in diesem Herbst für mich und zwei meiner Freunde über Ecker-Yachting in Göcek einen Segeltörn im Golf von Fethiye organisiert. Der Törn begann am Samstag, den 12.10. in Göcek und endet am Freitag den 19.10. Wir hatten zunächst bestes Wetter, es war warm und es wehte ein herrlicher Segelwind.

Als wir am Dienstagabend die verschiedenen Wettervorhersagen abfragten, wurden wir auf ein Tiefdruckgebiet aufmerksam, welches in östlicher Richtung zog und in der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag für uns wetterbestimmend sein würde. Es waren Starkwind (Windstärke sechs bis sieben Beaufort), Gewitter und heftiger Regen vorhergesagt, beginnend ab 03:00 Uhr nachts. Hierin waren sich die Wetterdienste einig. Die Angaben über die Hauptwindrichtungen differierten jedoch. Wir mussten hierzu also eine Annahme treffen und gingen schließlich von Winden aus südlichen Richtungen aus.

Wegen der heranziehenden Schlechtwetterfront entschlossen wir uns die Westseite des Fethiyegolfs anzusteuern. Bei bestem Wetter segelten wir von Karacaören am Mittwochmittag in Richtung Golf. Kurz vor Erreichen der Inselkette, die die Westküste des Golfes zum offenen Golf hin abschirmt, konnten wir die ersten Cirruswolken beobachten. Für uns das untrügliche Zeichen der herannahenden Warmfront, der Vorhut des Tiefdruckgebietes. Das weitere Wolkenbild entsprach der Wetterentwicklung wie sie einem meteorologischen Lehrbuch entstammen konnte. Wir wussten, es würde windig, nass und ungemütlich werden. Doch was sich dann in der Nacht abspielte, übertraf unsere Vorstellungskraft.

Gegen drei Uhr nachts wurden wir von einem heftigen Ruck geweckt. Der Wind pfiff durch die Bootswanten; alle Mann aus den Kojen sofort an Deck!

Was wir draußen sahen, lässt sich nur schwer beschreiben. Ein extrem starker Nordwind peitschte mit Spitzen von 10 Beaufort direkt durch das offene Tor der Bucht auf die Reihe der am Steg liegenden Yachten. Der Alptraum! Wir saßen in der Falle. Statt aus den erwarteten südlichen Richtungen, gegen die die Bucht geschützt war, kam der Wind brutal und unerwartet aus nördlichen Richtungen.

Unser Boot hatte die beiden Murings, an denen wir lagen, bereits so weit aus ihren Verankerungen am Meeresgrund gerissen, dass wir mit unserem Heck gegen den Steg schlugen. Eine der dünnen und verrosteten Eisenstützen des Stegs brach dadurch weg. Wir starteten sofort den Motor und fierten unter Vollgas voraus etwas die Achterleinen, um unser Boot zumindest ein wenig vom Steg wegzubekommen, was uns zunächst auch gelang.


In einer kurzen Windpause verschaffte ich mir einen Überblick über die Lage und lief kurz den Steg in der Dunkelheit ab. Es war gespenstisch. Die Crews der anderen Yachten fuhren ebenfalls unter Motor gegenan, um die Boote vom Steg weg zu halten. Ich beobachtete wie die Mannschaften mit eingeschalteten Scheinwerfern verzweifelt versuchten, ihre Boote nach allen Seiten hin zu sichern. Lautes Rufen, Fluchen in allen Sprachen, hektisches Rennen über die Decks - und der allgegenwärtige Wind begleiteten die Szenerie.

Die teils schon alten und von Schiffsschrauben angeschnittenen Murings der recht improvisierten Steganlage wurden bis an die Belastbarkeitsgrenze gebracht: Eine ganze Armada von Vollgas gebenden Yachten zog richtungsgleich mit ihren Achterleinen am Steg und an den Murings vorne drückte der Wind dagegen. Vor meinem geistigen Auge malte ich mir aus, wie es wohl aussehen würde, wenn sich der Steg aus seiner Verankerung reißen würde und alle Boote, gemeinsam den Steg hinter sich herziehend, über die Muringleinen fahren würden... Schnell verließ ich den Steg und begab mich wieder zur kleinen Crew an Bord unserer Yacht.

Aus Gründen, die wir uns nicht erklären konnten, gaben unsere beiden Murings mit der Zeit immer weiter nach. Dies bescherte uns ein stundenlangen, kräftezehrenden Kampf, die Yacht unter Maschine nach vorn und hinten zu sichern und dabei die Murings immer wieder ein Stückchen einzuholen und neu zu belegen. Nach achtern musste dabei fortgesetzt mit Fendern gesichert werden. Aber es gab keine andere Chance. Wir wussten, dass irgendwann die Länge der nachrutschenden Murings "aufgebraucht" sein würde. Dieser Gedanke bereitete mir dann doch etwas Angst. Der finanzielle Schaden, der sich durch das dann unkontrolliert herum schlingernde Boot ergeben würde, wäre erheblich. Und: Hatte ich als Skipper auch wirklich an alles gedacht, keinen Fehler gemacht, die richtige Bucht - entsprechend der Windvorhersage - ausgesucht, gute Seemannschaft praktiziert - und zwar eine solche, die ich beim Bootsversicherer auch würde beweisen können? Ich war mir nicht sicher...

Es durfte nichts schiefgehen - andernfalls würde es sehr teuer werden. Denn ein Boot, welches sich von der Muring losreißt, querschlägt, gegen die andern Boote kracht und schließlich bei Sturm und Welle unablässig an Steg und anderen Yachten aufgerieben wird, hat nach wenigen Stunden nur noch Schrottwert. Ein Abhalten des Bootes mit Händen oder Füßen ist bei solchen entfesselten Elementarkräften nicht nur aussichtslos, es birgt auch noch das hohe Risiko von Quetschungen und anderen Verletzungen.

Die ersten Besatzungen trauten der Lage nicht länger. Der klapprige Steg, die vielen unberechenbar und wild tanzenden Yachten, und die auf dem Meeresgrund immer dichter zum Land rutschenden Muringbefestigungen machte manchen Skippern klar, dass es besser wäre, den Sturm unter Maschine im Golf abzuwettern. Eine Motoryacht mit amerikanischer Flagge, welche ca. 30 Meter backbordseitig von uns lag, war die erste, die sich hinaus traute. Ich glaubte nicht, was ich da sah: Das Schiff hatte gerade die Reihe der mit dem Sturm kämpfenden Yachten verlassen, als sie querschlug und mit lauten Krachen vom Wind in die Reihe der am Steg liegenden Boote hineingedrückt wurde. Da die Motoryacht noch am Anker hing, konnte sie nicht richtig manövrieren. Es war ein beispielloses Spektakel! Die Crew versuchte verzweifelt den Anker zu bergen und sich gleichzeitig aus der quer auf die anderen gedrückten Lage zu befreien.

Man konnte deutlich hören wie an allen beteiligten Fahrzeugen Schaden entstand. Wir machten uns Sorgen, dass durch den zusätzlichen Druck auch andere Yachten aus ihren Verankerungen gerissen würden, und dann auch wir - in einem Dominoeffekt - mitgerissen würden. Schließlich gelang es der Motorboot sich unter Vollgas mit lautem Krachen von den anderen Booten los zu machen. Es dauerte noch eine gute halbe Stunde, um hilflos auf den Wellen tanzend, den Anker zu bergen. Dann verschwand das Schiff in die dunkle Sturmnacht in Richtung Golf. Mir schlug das Herz bis zum Hals.

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