Der Insider


Genialer Tunnelbau vor 2500 Jahren



In der Straße von Samos sind Europa und Asien so nah wie nirgendwo sonst. Wer sich hier gegen den vorherrschenden Wind durch die Enge quält kann damit rechnen, gerade mit der falschen Gastlandflagge auf der falschen Revierseite zu kreuzen. Die bewaldete Insel Samos liegt dem bis zum Gipfel grün bewaldeten Mykale Massiv zum Greifen gegenüber.

Drei der gewaltigsten Bauwerke der Griechen entstanden hier auf Samos: Der Tempel der Hera an der halbmondgeschwungenen Südbucht, die Hafenmole der Stadt Pythagoreion und der Tunnel des Eupalinos, der im späten
19. Jahrhundert entdeckt wurde. Knapp zwei Meter im Durchmesser verläuft er mitten durch den Berg auf über einen Kilometer Länge. Entstanden ist er aus Not: Die Perser waren im Vormarsch, Belagerung drohte, Wasser wurde für die immer größer gewordene Stadt unter dem Despoten Polykrates überlebenswichtig. Herodot, der den Tunnel beschrieb, ist mit seinen präzisen Angaben zur Lage und den Abmessungen die einzige Quelle, die zweieinhalb Jahrtausende später zur Auffindung führte.

Anders als vermutet verläuft der Tunnel freilich nicht schnurgerade durch den Berg, sondern schlägt Haken und Kurven.
Diese lassen darauf schlie§en, dass der Tunnel von beiden Enden her begonnen wurde und dass man sich im Berginneren "suchte", bis es gelang, beide Röhrenabschnitte miteinander zu verbinden. Eupalinos, den Herodot als den Konstrukteur und Baumeister erwähnt, muss ein Meister der Messtechnik gewesen sein. Die Alternative, nämlich das Wassersystem um den Berg herum zu leiten, wurde vermutlich wegen der Gefahr von Zerstörung bei Belagerungen verworfen.

Mit den Arbeitsgeräten der damaligen Zeit war es möglich den Tunnel 10 bis 20 cm pro Tag durch den Berg voranzutreiben. Ein Unterfangen von 20 Jahren, hätte Eupalinos nicht für die Idee von beiden Seiten zu beginnen, auch die entsprechende technische Konzeption gehabt, was die Zeit um die Hälfte reduzierte.
Mit unglaublicher Exaktheit begannen die Grubenarbeiter auf beiden Seiten ihren beschwerlichen Weg ins Gestein.

1978 lagen wir mit unserer kleinen PANDAREA im Hafen von Pyhtagoreion und lernten dort einen Münchner Archäologen kennen, der mit der Tunneluntersuchung befasst war. Er berichtete von einer Sendung des Bayerischen Fernsehens, in der über den Tunnel und die unglaubliche Leistung berichtet worden war. Am Ende der Sendung waren die Zuschauer aufgefordert, technische Konstruktionsideen einzuschicken, die beschreiben sollten wie Eupalinos damals vorgegangen sein könnte. Ergebnis: Es kam ein Waschkorb voller Zusendungen - aber nicht eine plausibele Lösung war darunter.

Der Archäologe Dr. Hermann J. Kienast beschreibt in "Die Wasserleitung des Eupalinos auf Samos" wie es gewesen sein könnte: Um die Längsrichtung zu ermitteln, habe Eupalinos "mit Fluchtstangen eine Gerade über den Berg abgesteckt", wodurch die Vortriebsrichtung durch Peilung mit dem blo§en Auge bestimmt werden konnte.

Das zweite Problem war das Niveau. Der Tunnelboden weist einen Höhenunterschied von nur 60 Zentimeter auf, was im Verhältnis zur Gesamtlänge einer Differenz von weniger als 0,1 % entspricht. Eupalinos musste sicherstellen, dass sich beide Röhren auf der gleichen Höhe treffen. Dazu ging er um den Berg herum. Kienast nennt als Instrumente dafür den Chorobat, einen sechseinhalb Meter langen Holzbock, der mit einem Wasserhorizont im Tragebalken exakt in die Horizontale gebracht und Eupalinos sich somit durch die Landschaft peilen konnte.

Unklar ist, warum der Nordtunnel vom idealen Richtungsverlauf abweicht und nach einigen hundert Metern im Berg einen Zickzack-Kurs beschreibt. Auch der Südtunnel macht nach 425 Meter einen deutlichen Knick nach rechts. Für diese Richtungsänderungen werden wasserfährende Schichten oder weiches Gestein vermutet, die - um Einsturzgefahr zu verhindern - umgangen werden mussten. Der Knick im Südstollen war also die Folge auf den Richtungswechsel im Nordtunnel.

Mit einer sehr einfachen Methode stellte Eupalinos sicher, dass beide Stollen zusammen trafen. Auf den letzten Metern lie§t er beide Röhren scharf nach Osten abbiegen. So verhinderte er zwei aneinander vorbeilaufende parallele Stollen zu graben. Durch diesen Trick war sichergestellt, dass sich die beiden Röhren trafen. "Wohl nie zuvor", schreibt Kienast, "hat ein Mensch ein derart hohes und vor allem langfristiges Risiko auf sich genommen - im ausschlie§lichen Vertrauen auf seine Ratio." Die nachtr?glich parallel zum fertigen Tunnel ausgegrabene Wasserr?hre stellte das exakt erforderliche Gef?lle f?r einen fl?ssigen Wasserablauf sicher.
Fotos Ludger Willenbrink